Walter Geisser – wirbliger Offensivmotor auf der Aussenbahn
Porträt
Montag, 06.06.2022 // 10:00
Uhr
Beim FC Nordstern auf dem Rankhof ist Walter Geisser gross geworden. Nach zwei Saisons bei den «Sternen» wechselte er zum FC Basel 1893. Mit seiner defensiven Solidität und seinen unwiderstehlichen Rushes nach vorne trug er das Seinige zum erfolgreichen Abschneiden der Rotblauen in den Folgejahren bei.
Wir schreiben den 19. Juli 1975. Der FC Basel unter Helmut Benthaus steht im Aufgalopp zur Saison 1975/76. Traditionell nimmt der FCB jeweils am Alpencup teil, an jener Sommerkonkurrenz, bei der Schweizer Teams in dieser Epoche regelmässig auf europäische Top-Teams treffen. Als erstes steht ein Auswärtsmatch in Reims im damals noch mit einer Radrennbahn ausgerüsteten Stade Auguste Delaune auf dem Programm. Stade Reims ist auf europäischer Ebene kein unbeschriebenes Blatt. Im Gegenteil, die rotweiss gekleideten Rémois gelten als Team mit grosser offensiver Feuerkraft. Und genau gegen diese Mannschaft erlebt ein junger Glarner vor 6400 Zuschauern seine Feuertaufe für den FCB: Walter Geisser.
Von Helmut Benthaus erhält der Nachwuchsmann genaue Direktiven, wie er sich auf dem Feld zu verhalten habe. Er müsse den argentischen Sturmtank Santiago Santamaria abmelden, erläutert der Basler Erfolgstrainer. Nach seiner Einwechslung für Peter Ramseier in der 46. Minute wird der als rechter Aussenverteidiger agierende Walter Geisser von seinem prominenten Kontrahenten zwei-dreimal zünftig durcheinandergeschüttelt. «Der Kerl konnte dribbeln und war wieselflink. Aber ich habe von einer Aktion zur anderen dazugelernt und bin das Tempo einfach mitgegangen», grinst Walter Geisser heute. Der FCB gewinnt diesen Match in der Champagner-Metropole schliesslich 4:3. Den Toren der Rémois von Carlos Bianchi (2) und Jacky Vergnes standen in der Endabrechnung FCB-Treffer von Otto Demarmels (2), Roland Schönenberger und Eigil Nielsen gegenüber.
Zwischen 1975 und 1984 bestritt Walter Geisser 415 Spiel für den FCB.
Geboren ist Walter Geisser in Näfels. Beim dortigen Fussballverein hat er sich auch seine Sporen abverdient. Aus beruflichen Gründen kam der Speditionsdisponent im Stahlhandel nach Basel. Seine erste Anlaufstation hier war der FC Nordstern. Mit den «Sternen» spielte er auf dem damals noch heimeligen Rankhof mit der alten Holztribüne und der speziellen englischen Ambiance in der ersten Liga und stieg schon bald in die Nationalliga B auf. «Zvezdan Cebinac war unser Trainer. Wir hatten immer 2000 bis 3000 Fans an den Heimspielen. Heute in der Challenge League kommen nur noch wenige Clubs auf solche Zahlen.»
Zweimal Meister mit Basel
Als dann der grosse FC Basel anklopfte, musste sich Walter Geisser dieses Angebot nicht zweimal überdenken. Er sagte zu und stiess zusammen mit Serge Muhmenthaler (vom FC Grenchen) und Peter Marti (vom FC Zürich) zum damals wieder aufstrebenden FCB, welcher von Helmut Benthaus trainiert wurde. Der Wechsel sollte sich lohnen. Walter Geisser avancierte nach einem Start mit gewissen Anlaufschwierigkeiten zu einem sicheren Wert im Abwehrbollwerk der Basler. Der Abschluss ganz vorne war nie seine Stärke, dafür konnte er dank seiner nie nachlassenden Kampfkraft und Ausdauer immer viel Druck nach vorne entwickeln.
1976/77 durfte er bereits einen ersten Meistertitel feiern. Im Entscheidungsspiel gegen Servette in Bern (2:1 für Basel, Tore durch Walter Mundschin und Arthur von Wartburg) wurde er allerdings nicht eingesetzt. In der Saison 1979/80 war am Ende einer wegen der damals laufenden Europameisterschaft im Eilzugstempo durchgepeitschten Finalrunde ein weiterer Meistertitel perfekt. Die Mannschaft von Helmut Benthaus erreichte diesen Titel durch einen denkwürdigen 4:2 Auswärtssieg auf dem Zürcher Letzigrund, der allen, die damals dabei waren, in bester Erinnerung bleiben wird. Erni Maissen, Detlev Lauscher, Peter Marti und Alberto Erba per Eigentor trafen für die Rotblauen an diesem wundervollen Montagabend. Walter Geisser war mittendrin bei diesem spektakulären Auftritt. Er liess seinem direkten Kontrahenten keinen Stich, kämpfte um jeden Ball und diente immer wieder als wertvolle Anspiel- und Verbindungsstation nach vorne.
Geisser interpretierte seine Rolle bereits damals sehr offensiv. Wenn immer die Möglichkeit bestand, bespielte er in seiner wirbligen Art die Räume im Halbfeld jenseits der Mittellinie. Er galoppierte an den gegnerischen Abwehrleuten vorbei und sorgte so für wertvolle Gewichtsverschiebungen im rotblauen Angriffs-Dispositiv. Synonym für seinen bedingungslosen Offensivpower steht die Szene beim Tor von Peter Marti zum 3:1 auf dem Zürcher Letzigrund. Geisser setzte sich ganz aussen durch und flankte hoch zum zweiten Pfosten, allwo Peter Marti seine legendäre Direktabnahme vollführte.
Walter Geisser wurde mit dem FCB 1977 und 1980 Schweizer Meister.
Die Stimmung in den rotblauen Publikumssektoren glich zu diesem Zeitpunkt einem Hexenkessel, und die Fans intonierten vieltausendköpfig den Song «Singing Ay-Ay, Juppie-Juppie Ay». Interessantes Detail am Rande: Nach Spielschluss kam es damals zu einer zwar lebhaften, aber absolut friedlichen Spielfeldinvasion. Die Basler Spieler durften gemeinsam mit ihren Anhängern auf die Ehrenrunde gehen und den Meisterbecher präsentieren – solches war in dieser Zeit noch problemlos möglich.
Match im vom Bürgerkrieg gezeichneten Belfast
Immer wieder durfte der dynamische Abwehrmann mit dem FCB auch auf internationalem Parkett auftreten. Spannendes berichtet er etwa vom Auftritt des FC Basel im Rahmen des UEFA Cup 1976/77 von der Partie bei Glentoran Belfast. Die Partie war von hohen Sicherheitsmassnahmen geprägt. Vor dem Match wurden die Basler mit Polizeischutz zum Stadion gefahren. Unterwegs sahen sie Häuser mit zugemauerten Fenstern und sie bekamen mit Schaudern mit, wie urplötzlich eine Feuerwehrsirene losheulte. Belfast verfügte über kampfstarke Akteure, allen voran Sturmtank Warren Feeney (gemäss FCB-Matchprogramm Basel-Glentoran vom 29. September 1976 mit 37 Treffern Torschützenkönig der irischen Liga), Midfielder Peter Dickenson und Abwehrorganisator Robert McCreery – da war auf Basler Seite allergrösste Vorsicht geboten.
Trotz einer 2:3-Niederlage in Belfast kam Rotblau mit Walter Geisser schlussendlich eine Runde weiter.
Im Oval Park (Fassungsvermögen rund 35'000 Personen), welcher mit einer riesigen Holztribüne ausgestattet war, verloren die Rotblauen dann schliesslich vor 5000 mehrheitlich Belfast zugeneigten Fans mit 2:3, die Basler Treffer erzielten Erni Maissen und Peter Ramseier. Doch im Rückspiel konnte der Basler Stadtclub dank einem überzeugenden 3:0 die Dinge wieder geraderücken. Nach zwei kniffligen und kampfbetonten Spielen – vergleichbar in etwa mit den Conference-League-Partien zwischen dem FCB und Hammarby in jüngster Vergangenheit – durften die Bebbi aufatmen. Der FCB war eine Runde weiter. Gut schlug man sich auch in der folgenden Runde gegen Athletic Bilbao. Nach einem 1:1 zu Hause war dann im Rückspiel im Baskenland Endstation.
Brügge und Belgrad
Zu seinen schönsten Erinnerungen zählt Walter Geisser den sensationellen Heimsieg im Meistercup gegen die belgische Spitzenmannschaft Brügge. Dieser Match endete 4:1, Walter Geisser gab damals den Pass zum vierten Tor seines Fast-Namensvetters Serge Gaisser. Vor diesem Spiel trainierten die belgischen Stars mit Jan Ceulemans, Walter Meuuws und Konsorten auf dem Margelacker in Muttenz. Der Berichterstatter erinnert sich noch gut, dass die Stimmung bei den Belgiern während des Abschlusstrainings durchaus locker und siegesgewiss war. Aber eben: Im Europacup kommt es oft anders, als man zuerst denkt – jeder Match muss zuerst gespielt werden.
Walter Geisser beim Heimsieg gegen Roter Stern Belgrad 1980.
Obwohl der darauffolgende Quervergleich mit dem Ausscheiden endete, will Walter Geisser auch die beiden Meistercuppartien gegen das Team von Roter Stern Belgrad nicht missen. Zum Heimspiel strömten damals rund 40'000 Zuschauer ins alte Joggeli, der FCB siegte dank einem phantastischen Freistosstreffer von Detlev Lauscher mit 1:0. Beim Rückspiel in Belgrad drängten sich sogar 95'000 Fans im riesigen Betonkessel und veranstalteten einen ohrenbetäubenden Lärm. Der FCB verpasste zwei grosse Chancen auf den Sieg und schliesslich ging dieser Match mit 0:2 aus Basler Sicht verloren. Nur wenig hätte gefehlt, und die Basler hätten diese mit Nationalspielern durchsetzte Mannschaft aus dem Wettbewerb eliminieren können.
Alpencup-Sieger nach Penaltyschiessen
Gegen das renommierte französische Team von Sochaux durften Walter Geisser und seine Teamkollegen im Sommer 1981 auch einen Alpencupfinal bestreiten. Den 6'000 Fans im alten Stadion St. Jakob wurde an diesem Abend ausgezeichnete Fussballkost geboten. Das Matchtelegramm mit all den klingenden Namen sei allen nochmals in Erinnerung gerufen. FC Basel: Küng; Stohler; Geisser, Graf, Maradan; von Wartburg, Maissen, Gaisser, Mullis; Sutter, Nickel. FC Sochaux: Rust; Luketin; Posca, Ruty, Bézaz; Benoit, Genghini, Bonnevay; Zimako, Revelli, Meyer.
Walter Geisser drückt dem FCB noch heute die Daumen – ob im Stadion oder zuhause.
Beim Spielstand von 2:2 nach 120 Minuten musste letzten Endes ein Penaltyschiessen über Sieg oder Niederlage entscheiden. Die Bebbi verfügten an diesem Abend über das nötige Glück und auch über Treffsicherheit. Walter Geisser hatte an diesem Abend notabene keinen Elfmeter zu treten, denn sämtliche Basler Schützen (Jörg Stohler, Beat Sutter, Arthur von Wartburg, Serge Gaisser und Harald Nickel) trafen mit ihren Versuchen ins Netz. Auf Seiten von Sochaux traf Bonnevay lediglich den Pfosten. So holten die Rotblauen den Alpencup-Becher ein weiteres Mal nach Basel.
Nach wie vor fussballbegeistert
Mit seiner Frau Irene wohnt Walter Geisser, der als Speditionsdisponent im Stahlhandel gewirkt hatte, in Pratteln. Seine Wahlheimat in der Region Basel hat er zu seiner definitiven Heimat gemacht. «Ich komme zwar vom Land, aber ich habe schnell gemerkt, dass ich das städtische Flair brauche», sagt er. Seine Söhne Sandro und Patrick spielten übrigens ebenfalls Fussball, und so ist bei Familientreffen König Fussball immer ein grosses Thema.
Heute ist der Abwehrmann mit der Rückennummer 2 gemeinsam mit Peter Bernauer für die Veteranen des FCB zuständig. Trainiert wird auf dem neben dem Landauer gelegenen Rheinacker – wobei es bei diesen Trainings heute eher gemütlich und gesellig zu und her geht, wie er betont. Walter Geisser verfolgt nach wie vor gerne zuhause im Joggeli die Spiele in der Super League oder eine Etage höher in den verschiedenen Europacup-Wettbewerben. «Es freut mich, wenn offensiv tolle, mitreissende Szenen gezeigt werden», schmunzelt er mit Kennerblick.
Name: Geisser
Vorname: Walter
Geburtsdatum: 14. August 1950
Position: Flügelstürmer, später Aussenverteidiger
Vereine:
FC Nordstern Basel 1973-1975
FC Basel 1893 1975-1984
415 Spiele für den FCB
Erfolge:
Schweizer Meister 1976/77 mit dem FCB
Schweizer Meister 1979/80 mit dem FCB
Cupfinalist 1982 mit dem FCB
Alpencupsieger 1981 mit dem FCB
Uhrencupsieger 1978, 1979 und 1980
Europacupspiele mit dem FCB gegen Glentoran Belfast, Athletic Bilbao, VfB Stuttgart, FC Brügge und Roter Stern Belgrad. Alpencupspiele unter anderem gegen Stade Reims, Lyon, Bordeaux, Bastia, Auxerre, Metz und Sochaux.
Walter Geissers Leistungsdaten beim FCB: Hier klicken
Bisher porträtierte Spieler
Pascal Zuberbühler (28. August 2014), Roland Paolucci (3. Oktober 2014), Christian Giménez (29. Dezember 2014), Martin Andermatt (12. Februar 2015), Nestor Subiat (18. März 2015), Erni Maissen (6. Mai 2015), Eigil Nielsen (16. Juli 2015), Maximilian Heidenreich (4. September 2015), André Sitek (13. November 2015), Papa Malick Ba (13. Januar 2016), Bruno Sutter (26. April 2016), Argemiro Veiga (24. Juni 2016), Carlo Porlezza (6. September 2016), Markus Tanner (10. November 2016) und Martin Jeitziner (14. Februar 2017), Attila Sahin (17.April 2017), Hervé Tum (21. Juni 2017), Arthur von Wartburg (7. September 2017), Scott Chipperfield (15. November 2017), Reto Baumgartner (11. Februar 2018), Walter Mundschin ( 29. März 2018), Thomas Hauser (3. Juni 2018), Stefan Huber (8. August 2018), Adrian Knup (13. Oktober 2018), Alex Nyarko (28. Dezember 2018), Helmut Hauser (28. März 2019), Peter Bernauer (9. Juni 2019), Marco Zwyssig (21. August 2019) Lars Olsen (15. Oktober 2019), Ottmar Hitzfeld (16. November 2019), Thimotée Atouba (30. Januar 2020), Franco Costanzo (22. April 2020), Jörg Stohler (16. Juli 2020), Kurt Stettler (9. Oktober 2020), Mike Speidel (29. Dezember 2020), Örjan Berg (15. April 2021), Hakan Yakin (4. Juni 2021), Jean Müller (7. September), Mile Sterjovski (19. November 2021), Behrang Safari (20. Dezember 2021) und Peter Marti (16. April 2022).
Text: Lukas Müller
Fotos: Josef Zimmermann (Farbfotos) und René Grossenbacher (Schwarzweiss-Fotos)