Unerschrockener Libero in Basel und der Türkei

Atilla Sahin
Montag, 17.04.2017 // 12:11 Uhr

Das Porträt über Atilla Sahin stellt die Fortsetzung einer Serie über ehemalige Spieler des FC Basel 1893 dar, die hier auf www.fcb.ch publiziert wird. Bisher wurden Pascal Zuberbühler (28. August 2014), Roland Paolucci (3. Oktober 2014), Christian Giménez (29. Dezember 2014), Martin Andermatt (12. Februar 2015), Nestor Subiat (18. März 2015), Erni Maissen (6. Mai 2015), Eigil Nielsen (16. Juli 2015), Maximilian Heidenreich (4. September 2015), André Sitek (13. November 2015), Papa Malick Ba (13. Januar 2016), Bruno Sutter (26. April 2016), Argemiro Veiga (24. Juni 2016), Carlo Porlezza (6. September 2016), Markus Tanner (10. November 2016) und Martin Jeitziner (14.2.2017) porträtiert.

Es ist schon ein paar Jährchen her, seit Atilla Sahin erstmals seine Fussballschuhe für den FCB geschnürt hat. Guy Mathez war damals sein Trainer. In der Mannschaft des Basler Stadtclubs standen bekannte Tenöre wie Stefan Huber, Oliver Kreuzer, Benjamin Huggel, Massimo Ceccaroni, Mario Cantaluppi, Ivan Reimann, Dan Potocianu, Argemiro Veiga, Mario Frick, Ahmed Ouattara und Alexander Rytschkow. Zu Beginn der Saison 1998/99 genoss der FCB mit Neuzugang Atilla Sahin relativ wenig Kredit. Die Boulevardzeitung Blick beispielweise sah ihn in ihren vollmundigen Prognosen auf Platz 12, also auf dem Abstiegsrang. Die Federfuchser hatten sich damit aber gründlich geirrt. Denn das mit einem vergleichsweise bescheidenen Budget von sechs Millionen Franken gestartete Basler Team legte unter der Leitung des welschen Trainers Guy Mathez eine hervorragende Saison hin.

 

Man schlug beispielsweise den FC Zürich (auch dank einem Tor von Sahin), Luzern, Xamax, St. Gallen, Lausanne sowie die Young Boys. Gegen die Grasshoppers und Sion erreichte man je ein Unentschieden. Atilla Sahin war als einsatzfreudiger Verteidiger beziehungsweise als umsichtiger Libero überall dabei. Er spielte auch beim allerletzten Match im alten Joggeli, welcher vor 34’745 Zuschauern gegen Lugano in Szene ging. Am Schluss dieser Spielzeit schuf der FCB die Qualifikation für den sportlich interessanten UI-Cup (UEFA-Intertoto-Cup). Mit etwas mehr spielerischer Konstanz und Wettkampfglück wäre in der Endabrechnung sogar noch mehr dringelegen.

 

Korotan Prevalje und der Hamburger SV

 

Im UI-Cup bescherte das Los den Bebbi im Sommer 1999 nacheinander Korotan Prevalje aus Slowenien und Boby Brünn aus Tschechien in den ersten beiden Runden. Sowohl auswärts, beim 0:0 in der slowenischen Ortschaft Prevalje (deutsch: Prävali) als auch zuhause im Ausweichstadion Schützenmatte beim 6:0 gegen den gleichen Kontrahenten kam Atilla Sahin zum Einsatz. In den Begegnungen der zweiten UI-Cup-Runde gegen die Tschechen aus Brünn hätte er wohl ebenfalls gespielt. Aber er zog es vor ein Probetraining bei Besiktas Istanbul zu absolvieren. Trainer Karl-Heinz Feldkamp wollte ihn zu diesem Grossclub (bei dem übrigens auch Matias Emilio Delgado nach seiner ersten FCB-Phase gespielt hatte) lotsen. Leider erlitt der populäre „Kalli“ just in dieser Zeit einen Herzinfarkt. So übernahm dann Hanspeter Briegel das Kommando. Sahins Wechsel zu den Schwarzweissen aus der Hauptstadt am Bosporus verlief im Sand.

 

So stand der solide Abwehrspieler noch ein Weilchen für den FCB in Einsatz. Gegen den Hamburger SV absolvierte er im Rahmen der dritten UI-Cup-Runde das Auswärtspiel in Lübeck. Der FCB siegte im Lohrheidestadion dank eines goldenen Treffers von George Koumantarakis 1:0. Der Match wurde auf DSF live übertragen. Es war dies nach langer Durststrecke das erste international beachtete Resultat der Basler. Beinahe wäre den Bebbi im Rückspiel die Sensation gelungen. Nur mit viel Pech und aufgrund von nicht genutzten Riesenchancen von Koumantarakis und Cantaluppi verlor der FCB im Stadion Schützenmatte vor 3756 Zuschauern (das Publikumsinteresse war natürlich weit grösser, aber mehr Zuschauer durften aufgrund von rigorosen Sicherheitsbestimmungen der UEFA nicht hinein) mit 2:3. Die Basler schieden gegen die Hanseaten notabene nur wegen der in europäischen Wettbewerben angewandten Auswärtstor-Regel aus. „Bittere Niederlage gegen einen biederen Gegner“, stand daraufhin in der Basler Zeitung zu lesen.

 

Bewegte Zeiten in Izmir

 

Wenig später klopfte dann aber ein anderer Club aus der obersten Liga der Türkei bei Atilla Sahin an: Göztepe Izmir. Göztepe ist ein Traditionsclub, dessen beste Zeiten in die sechziger Jahre zurückgehen. Sechsmal hintereinander spielten die Rotgelben im Europacup. Einmal erreichten sie sogar die Halbfinals mit Hin- und Rückspiel gegen Ujpest Dozsa Budapest. Atilla Sahin, dessen Aktien beim neuen FCB-Trainer Christian Gross zu diesem Zeitpunkt nicht sehr hoch standen, zögerte nach der Offerte aus Izmir nicht lange. Mutig entschloss er sich zu einem Tapetenwechsel. In Izmir traf der türkischstämmige Schweizer auf eine zusammengewürfelte Equipe bestehend aus erfahrenen Kämpen und jungen Talenten. Präsent waren unter anderem die beiden Goalies Richard Kingston (Nationalgoalie von Ghana mit 89 Einsätzen für sein Land, er spielt heute immer noch in Accra) und Bülent Ataman. Ebenfalls an Bord waren der offensive Mittelfeldspieler Kubilay Toptas von Dardanelsport und Fenerbahce Istanbul sowie der Stürmer Bülent Uygun – seines Zeichens Topskorer 1993/94 bei Fenerbahce Istanbul und Meister 1995/96 mit Fenerbahce Istanbul.

 


Dynamischer und kampfstarker FCB-Akteur: Atilla Sahin.

 

„Die Verhältnisse im türkischen Fussball sind besonders. Es ist nicht zu vergleichen mit der Schweiz. Der Lohn kommt oft zu spät oder gar nicht. Wir mussten oft auf Geld warten. Auch sonst ist vieles ganz anders. So werden zum Beispiel einheimische türkische Spieler gegenüber den aus dem Ausland zugezogenen Spielern tendenziell eher bevorzugt“, sinniert Sahin. „Der Lohn wurde uns in bar ausbezahlt. Wenn wir ein Heimspiel verloren, gab es Bussen für alle – unsere Moral war dementsprechend schlecht. Meinen Lohn erhielt ich nach dem jeweils geltenden Tageskurs zwischen türkischer Lira und Dollar. Wir mussten nach Erhalt dieser Banknoten-Bündel in einem Quittungs-Buch unterschreiben. Als ich dort unterschrieb, entdeckte ich darin auch die Saläre meines Trainers und meiner Mitspieler. Es wirkte alles sehr chaotisch und improvisiert. Das viele Papiergeld brachte ich noch gleichentags auf ein Change-Institut und wechselte es dort in Dollar um. Als Banker begreife ich nicht, dass man diese Löhne nicht direkt überweisen konnte.“

 

Nach dem Abstieg zurück in die Schweiz

 

Leider passte bei Göztepe auch sonst vieles nicht zusammen. Die Mannschaft verlor nach an sich guter Vorrunde mit acht Punkten Vorsprung auf die Abstiegsplätze in der Rückrunde ein Spiel ums andere. Vier Trainer gaben sich die Klinke in die Hand. Es wurde nicht besser. Die Fans tobten. Mehrere konkurrierende Fangruppierungen kehrten dem Club den Rücken. Insgesamt sechs Spieler wurden entlassen. All dies hatte einen starken Zuschauerrückgang zur Folge. Statt im Atatürk Stadion spielte man plötzlich im kleinen Alsancak Stadion. Nach einer weiteren Niederlage wurden er und seine Mitspieler sogar von wildgewordenen, mit Schwertern bewaffneten Anhängern verfolgt. „Wir Spieler bildeten einen Autokonvoi und mussten uns vor dem Mob in Sicherheit bringen. Ich schaute in den Rückspiegel und sah, wie diese Typen mit ihren Schwertern herumfuchtelten. Es war sehr gefährlich, das Ganze. Wir fuhren an diesem Abend durch ganz Izmir, ehe wir uns heimgetrauten.“

 

Am Wochenende darauf spielte Göztepe als Underdog in Istanbul gegen den Favoriten Fenerbahce. Göztepe gewann 3:2. Trotz dieses mutigen Aufbäumens war für die Männer aus Izmir der Abstieg besiegelt. Sahin hatte genug erlebt. Er verliess den Club und kehrte in die Schweiz zurück. Als er wieder in Basel gelandet war, erreichte ihn nochmals ein Telegramm der Türken. „Komm doch bitte zurück. Du kannst Deinen Lohn selber bestimmen“, stand dort drauf. Für Atilla Sahin war dies die Bestätigung, dass er in Izmir gute Arbeit geleistet hatte und dass seine Dienste geschätzt wurden.

 

Heute im Bankgeschäft tätig

 

In der beschaulichen Schweiz liess er seine Karriere dann langsam ausklingen. Bei Winterthur und Delémont gab es den einen oder anderen Achtungserfolg. Nach mehreren Knieverletzungen musste er seine Kickschuhe an den Nagel hängen. Immerhin kann er heute wieder Plauschmätschli mit Muttenz austragen.

 

Für die Zeit nach seiner Karriere hatte Atilla Sahin rechtzeitig vorgesorgt. Er ist im Bankgeschäft tätig. Seit über fünf Jahren wirkt er als Leiter E-Hypotheken und als Leiter Crowdfunding bei der Basellandschaftlichen Kantonalbank in Liestal. Ihm zur Seite steht ein kleines Team von vier Mitarbeiterinnen. In seiner Freizeit verfolgt er das Fussballgeschehen nach wie vor. Regelmässig schaut er sich Spiele seiner Rotblauen am Fernsehen an. Er freut sich, dass der FCB auf soliden Füssen steht und sowohl in der Meisterschaft als auch im Cup stets vorne dabei ist. Ab und zu schweift sein Blick auch in eine der zahlreichen Fussballgazetten aus der Türkei. Göztepe, welches derzeit in der zweithöchsten Landesliga agiert, ist trotz der geschilderten Vorkommnisse Atilla Sahins zweite grosse Liebe. Und derzeit kämpft der Traditionsverein aus Izmir mit den unterdessen wieder zahlreicher gewordenen Fans gegen Teams wie Malatyaspor, Sivasspor, Giresunspor und Eskisehirspor um den Wiederaufstieg in die Süper Lig.

 

 

Steckbrief

 

Name: Sahin

 

Vorname: Atilla

 

Geburtstag: 24. Oktober 1973

 

Position: Mittelfeld, Verteidiger, Libero

 

Vereine:

 

SV Muttenz 1997/98

 

FC Basel 1893 1998/99 und 1999

 

Göztepe SK Izmir 1999/00

 

FC Winterthur 2000/01 (sechs Monate, bis Januar 2001)

 

SR Delémont 2001/02-2003/04

 

SV Muttenz (in verschiedenen Funktionen bis zum Sportchef und Chef-Trainer) 2004/05-2012/13

 

Erfolge: Teilnahme an der UI-Cup-Kampagne des FC Basel, mit Spielen gegen Korotan Prevalje, Boby Brünn (ohne Einsatz) und den Hamburger SV.

 

(Farbfotos: Hans-Jürgen Siegert)

(Schwarz-Weiss-Fotos: Stefan Holenstein)

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