„Dank Helmut Benthaus konnte ich im Profisport Fuss fassen“

Portrait
Samstag, 16.11.2019 // 15:37 Uhr

In den siebziger Jahren war Ottmar Hitzfeld als Stürmer und Torschützenkönig beim FC Basel 1893 in aller Munde. Meister, Cupsieger und Ligacupsieger wurde er mit den Rotblauen, ehe er sich 1975 aufmachte, um die Welt zu sehen. Er wurde mit Borussia Dortmund und Bayern München berühmt und zählt heute zu den wichtigsten Trainern Europas. Hier ist seine Geschichte.

„Gut Ding will Weile haben“. Bedächtig und gemütlich startete ein junger Fussballspieler zu Beginn der sechziger Jahre seine sportliche Laufbahn. Der Lörracher Ottmar Hitzfeld war damals in Südbaden ein bekannter Goalgetter. Er spielte auch in der Südbadischen Auswahl. Doch Ottmar Hitzfeld hatte ein klares Ziel. Er wollte sich als Fussballspieler weiterentwickeln. Der FC Basel, der damals gross abräumte, erschien ihm dazu als geeignete Adresse. Eines Tages im Frühjahr 1971 nahm er seinen ganzen Mut zusammen – er wollte beim FCB für ein Probetraining anfragen. Er schaute ins Telefonbuch und stellte anschliessend auf der Wählscheibe die Nummer von Trainer Helmut Benthaus ein.

 

Der Basler Erfolgstrainer zeigte sich durchaus interessiert. Er verschob das Treffen allerdings noch um eine Woche nach hinten, da gerade noch das Entscheidungsspiel FCB-Grasshoppers in Bern anstand. Nach diesem Match durfte Ottmar Hitzfeld auf dem Landhof zum Probetraining erscheinen. «I ha guet kickt», schmunzelt er. Helmut Benthaus erkannte Hitzfelds Talent sofort und wollte ihn auf der Stelle engagieren. Ottmar zog daraufhin seinen Bruder Winfried, von Beruf Rechtsanwalt, hinzu – dieser begleitete ihn zu den Vertragsverhandlungen. „Ich bin Helmut Benthaus unglaublich dankbar, dass er mir diese Chance gegeben hat“, betont Ottmar Hitzfeld heute. „Dank ihm  konnte ich im Profisport Fuss fassen.“

 

In der Folge unterschrieb der 22-Jährige beim FCB einen Amateurvertrag. Später sollte sich dieser Amateurstatus für Ottmar Hitzfeld sehr lohnen, denn er wurde 1972 als frischgebackener Schweizer Meister mit dem FC Basel in die Olympiamannschaft von Deutschland aufgeboten. Uli Hoeness (Weltmeister und Europameister mit Deutschland, Europacupsieger mit Bayern München), Manfred Kaltz (Europameister mit Deutschland, Europacupsieger mit dem Hamburger SV), Bernd Nickel (UEFA-Cupsieger mit Eintracht Frankfurt), Egon Schmitt (Rekordnationalspieler bei den Amateuren) und viele andere standen in diesem Team. Bis auf Hitzfeld waren alle Bundesligaspieler. Bei den Olympischen Spielen in München gelangen ihm aber gleich fünf Treffer und Angebote vom 1. FC Köln und von Hertha BSC folgten auf dem Fuss. Aber der solide und geerdete Ottmar Hitzfeld entschloss sich, beim FC Basel zu bleiben. Er studierte damals noch und schloss sein Studium mit dem Lehrerexamen ab.

 

Tanz auf mehreren Hochzeiten

 

Beim FC Basel hatte man national alles erreicht. Kunz, Laufenburger, Mundschin, Siegenthaler, Ramseier, Odermatt, Sundermann, Demarmels, Hasler, Hauser, Wenger und Balmer waren die bekanntesten Akteure. Gegen Ende der Saison 1971/72 wurde der Titel in einem Kopf-an-Kopf-Rennen entschieden. Im Heimspiel gegen den Erzrivalen FC Zürich im Joggeli musste für Basel unbedingt ein Sieg her. „Der FCB hatte kurz zuvor gegen den FCZ den Cup verloren und stand unter grossem Druck“, erinnert sich Hitzfeld. Basel triumphierte dann vor sagenhaften 56'000 Zuschauern mit 4:0 – Karl Odermatt (zweimal), Walter Mundschin und Ottmar Hitzfeld trafen in die Maschen. Am Ende lagen die Bebbi vier Punkte vor dem FCZ.

 

Für einen Sieg wurden in dieser Epoche notabene nur zwei Punkte gutgeschrieben, bei Meisterschaftspartien durften nur maximal zwei Mann eingewechselt werden, Eintrittsbillette für Kinder konnten mit Rabattmarken bezahlt werden. 1972/73 wurde das Team von Trainer Benthaus ein weiteres Mal Meister – vier Punkte vor den Grasshoppers. Nach diesem Titel durfte Basel im Europacup spielen. Im Cup der Landesmeister (der heutigen Champions League – damals wirkten allerdings ausschliesslich die Meister mit) schlugen die Basler die Isländer von Fram Reykjavik klar und stiessen damit in der nächsten Runde auf den belgischen Meister FC Brügge. Das Auswärtsspiel endete mit 2:1 zugunsten der Belgier. So ging das Rückspiel im alten Joggeli vor der vergleichsweise bescheidenen Kulisse von 12'500 Zuschauern über die Bühne.

 

Kein Mensch hätte zu Beginn dieser Partie geahnt, welches Spektakel da auf alle zukommen würde. In einem Match mit einer unglaublichen Dramaturgie und einer ebenso spektakulären Torfolge siegten die Basler mit 6:4. Das zwischenzeitliche vierte Tor auf Penalty und das letztlich entscheidende sechste Tor, ein unhaltbarer Schuss aus nächster Distanz in die rechte hohe Torecke, gingen auf das Konto von Topskorer Ottmar Hitzfeld. René Hasler, Walter Balmer und Rudolf Wampfler (zweimal) steuerten die weiteren Tore bei. Gemäss der heute noch geltenden Regel mit den Auswärtstoren hatte Basel damit die Qualifikation geschafft. Für Ottmar Hitzfeld war das – genau wie das 4:0 gegen Zürich – ein Höhepunkt, den man nie vergisst.

 

Mit den rotblauen Schlachtenbummlern pflegte Ottmar Hitzfeld übrigens einen unkomplizierten, äusserst herzlichen Umgang. Nach jedem Match diskutierte man vor dem Spielereingang des Joggeli über das Erlebte, die Fussballspieler konnte man persönlich begrüssen und auch Autogramme holen. Handy und Internet waren noch in weiter Ferne. Es waren andere Zeiten damals. 1975 holte der FC Basel dann nach einem in der Verlängerung errungenen 2:1-Erfolg über den FC Winterthur auch noch den begehrten Schweizer Cup, die formschöne Sandoz-Trophäe, nach Basel – dank Toren von Otti Demarmels und Walter Balmer. Ottmar Hitzfeld war in dieser umkämpften, von 28'000 Fans verfolgten Partie zuvorderst mit dabei. Er zählte zu den absoluten Teamstützen. Sein Monatslohn beim FCB hatte sich in all den Jahren von anfänglich 600 Franken auf zuletzt 14'000 Franken gesteigert.

 

Wechsel nach Deutschland

 

Doch dann – nach all diesen Grosserfolgen – kam es, wie es kommen musste. Der Bundesligist VfB Stuttgart klopfte bei Ottmar Hitzfeld an. Bei Basels Fangemeinde herrschte unbeschreibliche Trauer, als die Nachricht vom Transfer des Basler Goalgetters bekannt wurde. Transfers waren dannzumal noch nicht derart an der Tagesordnung wie beispielsweise heute. Doch unterdessen erkennen alle, die mit dem Fussballgeschäft zu tun haben, dass der damalige Entschluss zum Wechseln für Ottmar Hitzfeld der absolut richtige Entscheid war. Zwar stieg Stuttgart just in dieser Saison noch aus der Bundesliga ab und musste zwei Jahre lang in der zweiten Bundesliga spielen. In einer Partie gegen Jahn Regensburg im Neckarstadion gelangen dem abschlussstarken Offensivmann nicht weniger als sechs Treffer zum 8:0-Schlussresultat. Auf der Tribüne sass an diesem Tag sein eigener Vater, Hitzfeld senior. Er war aus Lörrach angereist, und er hatte wahrlich den richtigen Match ausgewählt. Unter seinem ehemaligen FCB-Kameraden und Trainer Jürgen Sundermann schuf Stuttgart mit Hitzfeld gleich in der ersten Saison als Neuling den dritten Platz. Hans Müller, Hermann Ohlicher, Karlheinz Förster, Torwart Helmut Roleder und Dieter Hoeness (Uli Hoeness’ Bruder) waren seine Teamkollegen.

 

Doch Hitzfeld plagte sich mit gesundheitlichen Problemen herum. Die Hüften, der Meniskus. Sein Arzt runzelte die Stirn und raunte ihm dann etwas despektierlich zu: „Es gibt zwei Varianten – entweder aufhören mit Fussball, oder in der Schweiz Fussball spielen.“ Hitzfeld entschied sich für die zweite Variante. Bei Lugano und Luzern liess er seine facettenreiche Karriere als Spieler langsam ausklingen. Doch dann brach er auf zu neuen Horizonten.

 

Märchenhafte Trainerkarriere

 

Eigentlich wollte Ottmar Hitzfeld nach dem aktiven Spitzenfussball wieder als Lehrer arbeiten. Doch die Behörden in Freiburg beschieden ihm, dass er lange weggewesen sei vom Schulbetrieb und dass er deswegen eine Nachprüfung absolvieren müsse. Hitzfeld ging dies gegen den Strich. So entschied er sich dazu, es als Trainer zu versuchen. Zug, Aarau und GC in der Schweiz waren seine ersten Stationen. Überall feierte er mit seinem offensiv ausgerichteten Fussball Erfolg. „Ob ein junger Spieler etwas wird, sieht man oft schon im ersten Match“, sagt er. „Ein Stürmer muss neben Talent vor allem Instinkt und Nervenstärke mitbringen. Er muss über hohe Konzentrationsfähigkeit verfügen und auf allfällige Fehler der Gegner blitzschnell reagieren können.“

 

Hitzfelds Erfolge in der Schweiz riefen wiederum die Späher aus der Bundesliga auf den Plan. „Trainer im Stahlbad der Bundesliga, das ist doch das Härteste, was es gibt“, heisst es oft. Doch Ottmar Hitzfeld hat sich dieser steilen Herausforderung gestellt. Bald wurde ihm das erste Angebot unterbreitet. Borussia Dortmund hatte Interesse. Und dann kam einige Jahre später Bayern München. Was Ottmar Hitzfeld mit Borussia Dortmund und mit Bayern München im Lauf der folgenden Jahre an silbernen und goldenen Pokalen im In- und Ausland gesammelt hat, würde den Rahmen dieses Textes sprengen. Nur soviel: In Dortmund wurde ihm einst während einer Meisterfeier sein Domizil von oben bis unten gelbschwarz dekoriert, mit Ballons, Fahnen, Transparenten. Und in München, auf dem Marienplatz, sangen die Bayern-Fans an der offiziellen Feier nach dem Double-Gewinn minutenlang unisono im Dreiklang die vier folgenden Worte: „Ottmar, wir lieben Dich.“ Auch in der Schweiz hat er sich als Nationalcoach mit den Erfolgen über Spanien an der Weltmeisterschaft und über Deutschland in einem Testspiel vor der Europameisterschaft grösste Meriten geholt.

 

Schwierige Hürden

 

Doch bis er all diese Huldigungen entgegennehmen und die Zuneigung der Anhängerschaft geniessen konnte, musste der zähe Lörracher zahlreiche hohe Hürden nehmen, Schwierigkeiten überwinden, emotionale Talfahrten meistern. Redselige, kamerageile und besserwisserische Vorstandsleute, aber auch arrogante, mimosenhafte und aufmüpfige Stars machten ihm das Leben sauer. Unbequeme, jungforsche und zum Teil absolut ahnungslose Medienleute kamen erschwerend hinzu. Paparazzi lauerten ihm auf. Sogar seine Gesundheit stand zeitweise auf dem Spiel. In Basel bangte und zitterte man mit ihm. Aber Ottmar Hitzfeld sich erfolgreich aufgerappelt. Er hat es allen gezeigt.

 

Was ist denn nun das Besondere am Trainer Hitzfeld, was zeichnet ihn nebst seinem profunden Fachwissen, seiner Menschenkenntnis und seiner generell sehr akribischen Arbeit aus? Und was macht er allenfalls anders als andere? Die Antwort kommt klar hinüber: „Meine Führungsphilosophie ist einfach. Ich habe teamintern stets viele Gespräche geführt. Ich habe mich mit jedem Spieler ausgetauscht, nicht nur mit den Stars. Mit jedem Einzelnen habe ich regelmässig den Leistungsstand angeschaut und die Chancen für Einsätze besprochen. Im Fussball kann es immer zu Verletzungen kommen. In solchen Fällen werden alle gebraucht, auch diejenigen, die zuerst nicht ganz zuvorderst stehen.“

 

Als Trainer auf allerhöchster Stufe

 

Seit einigen Monaten ist der Grand Old Man des europäischen Fussballs, der in einem Atemzug mit Pep Guardiola, Carlo Ancelotti, Giovanni Trapattoni, Jupp Heynckes, Zinedine Zidane, Didier Deschamps und Sir Alex Ferguson genannt werden kann, aller Sorgen ledig. Seinen Job beim Bezahlsender „Premiere“ und seine Tätigkeit als Zeitungs-Kolumnist hat er beendet. Ein lukratives China-Angebot mit einer zweistelligen Zahl und unglaublich vielen Nullen dahinter hat er nach Rücksprache mit seiner Familie dankend abgelehnt. Dafür geniesst er jetzt die neu gewonnene Freizeit mit seiner Familie und seinen drei Enkelkindern. Und selbstverständlich verfolgt er die Geschicke des FC Basel ganz genau und drückt dem Club, bei dem er seine Karriere lanciert hat, natürlich die Daumen.

 

 

Steckbrief

 

Name: Hitzfeld

 

Vorname: Ottmar

 

Geburtstag: 12. Januar 1949

 

Position: Stürmer

 

Vereine als Spieler:

 

FV Lörrach: 1968 - 1971

FC Basel 1893: 1971 - 1975

VfB Stuttgart: 1975 - 1978

FC Lugano: 1978 - 1980

FC Luzern: 1980 - 1983

 

Stationen als Trainer:

 

SC Zug: 1983 - 1984

FC Aarau: 1984 - 1988

Grasshopper Club Zürich: 1988 - 1991

Borussia Dortmund: 1991 - 1997

FC Bayern München: 1998 - 2004 und 2007 - 2008

Schweizer Nationalmannschaft: 2008 - 2014

 

Erfolge als Spieler:

 

2 x Schweizer Meister mit dem FC Basel 1893: 1972 und 1973

Cupsieger mit dem FC Basel 1893: 1975

Ligacupsieger mit dem FC Basel 1893: 1973

Aufstieg in die 1. Bundesliga mit dem VfB Stuttgart: 1977

 

Erfolge als Trainer:

 

Aufstieg in die NLA mit dem SC Zug: 1984

Cupsieger mit dem FC Aarau: 1985

Schweizer Meister mit dem Grasshopper Club Zürich: 1990 und 1991

Cupsieger mit dem Grasshopper Club Zürich: 1989 und 1990

Deutscher Meister mit Borussia Dortmund: 1995 und 1996

Sieger UEFA Champions League mit Borussia Dortmund: 1997

Deutscher Meister mit dem FC Bayern München: 1999, 2000, 2001, 2003 und 2008

DFB-Pokalsieger mit dem FC Bayern München: 2000, 2003 und 2008

Sieger der UEFA Champions League mit dem FC Bayern München: 2001

Sieger des Weltpokals mit dem FC Bayern München: 2001

 

Bisher porträtierte Spieler: Pascal Zuberbühler (28. August 2014), Roland Paolucci (3. Oktober 2014), Christian Giménez (29. Dezember 2014), Martin Andermatt (12. Februar 2015), Nestor Subiat (18. März 2015), Erni Maissen (6. Mai 2015), Eigil Nielsen (16. Juli 2015), Maximilian Heidenreich (4. September 2015), André Sitek (13. November 2015), Papa Malick Ba (13. Januar 2016), Bruno Sutter (26. April 2016), Argemiro Veiga (24. Juni 2016), Carlo Porlezza (6. September 2016), Markus Tanner (10. November 2016) und Martin Jeitziner (14. Februar 2017), Attila Sahin (17.April 2017), Hervé Tum (21. Juni 2017), Arthur von Wartburg (7. September 2017), Scott Chipperfield (15. November 2017) und Reto Baumgartner (11. Februar 2018), Walter Mundschin ( 29. März 2018), Thomas Hauser (3. Juni 2018), Stefan Huber (8. August 2018), Adrian Knup (13. Oktober 2018), Alex Nyarko (28. Dezember 2018), Helmut Hauser (28. März 2019), Peter Bernauer (9. Juni 2019),  Marco Zwyssig (21. August 2019) und Lars Olsen (15. Oktober 2019).

 

Fotos:

Schwarz-Weiss: Kurt Baumli

Farbig:

Titel: Josef Zimmermann

Im Text: freshfocus

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