Birkir Bjarnason – der Wikinger,
der aus Italien kam
Porträt
Sonntag, 29.12.2024 // 12:00
Uhr
Seit dem erfolgreichen Abschneiden der isländischen Nationalmannschaft an Weltmeisterschaft und Europameisterschaft ist Birkir Bjarnason im hohen Norden zum Nationalhelden aufgestiegen – und das, obwohl er in Norwegen aufgewachsen ist. Wir haben den unterdessen 36-jährigen Offensivspieler in Brescia besucht, wo er aktuell in der Serie B zum Einsatz kommt.
«Birkiir – Birkiir» – und dann einige Sekunden später nochmals «Birkiir, Birkiir» – der isländische TV-Kommentator Gudmundur Benediktsson explodierte regelrecht vor Freude, seine Stimme überschlug sich bis ins höchste Falsett, als der blonde Angreifer Birkir Bjarnason für Island gegen Portugal das wichtige Goal zum 1:1 erzielt hatte. Bref: Die Stimme des zuständigen Berichterstatters wurde immer höher, und diese Direktabnahme des glückseligen Wikingers im Match Island gegen Portugal ging rund um die Welt. Hier noch der genaue Wortlaut dieses denkwürdigen Kommentars in der deutschen Übersetzung: «Birkir! Birkir! Birkir Bjarnason. Schiesst das Tor für unsere Isländer. Birkir, sehr jung… Und der Ball fliegt an Patricio vorbei. Portugal: Ein Tor. Island: Ein Tor.»
Jubelsturm im Land der Vulkane
Man muss sich vorstellen: In ganz Island lagen sich in dem Moment rund 330’000 Menschen jubelnd in den Armen. Es war dies das erste Mal, dass dieses von Schafherden und Vulkanen geprägte Land den Einzug in eine Fussball-Endrunde geschafft hatte. Doch wenig später musste das skandinavische Inselvolk gegen England antreten. Zwei Tore fielen innert kürzester Zeit – das zweite wiederum von Birkir Bjarnason. Diese Ereignisse brachten den wackeren TV-Kämpen Gudmundur dann noch verstärkt zum Winseln, Schreien, Jaulen, Kreischen, Japsen und Toben. Die deutsche Übersetzung dieses zweiten Streichs ist uns nicht überliefert, aber es dürfte darum gegangen sein, dass Island gegen das Mutterland des Fussballs eine gewaltige, epochale Leistung vollbracht hatte.
In 64 Spielen gelangen dem isländischen Crack 17 Tore. Die meisten seiner Treffer erzielte er mit dem rechten Fuss.
Mit Island als Fussball-Nation musste man fortan rechnen, das ist auch heute noch so. Bjarnason selber nimmt solche Gefühlsausbrüche eher gelassen zur Kenntnis. «Aussenstehende sagen oft, dass die Isländer von ihrem Temperament her sehr ruhig seien. Aber wenn dann etwas Spezielles passiert, können meine Landsleute schon Emotionen zeigen», präzisiert er. Er muss es wissen: Mit 150 Ernstkämpfen figuriert er als isländischer Rekordspieler.
Basel und Island – und Birkir
Auf internationaler Ebene hatten sich Jahre zuvor schon Teams aus Basel und Island miteinander messen können. Der FC Basel trat im Europacup der Landesmeister gegen Fram Reykjavik und später im UI-Cup (UEFA Intertoto Cup) gegen Grindavik sowie in der UEFA Europa League gegen KR Reykjavik an – jedes Mal behielten die Bebbi das bessere Ende für sich. In der Folge vergingen manche Jahre, ohne dass aus Basler Sicht gross über isländische Teams berichtet werden musste.
Kampf, Technik, Laufvermögen und gutes Spielverständnis: Teamplayer Birkir Bjarnason hat auf dem Feld einiges zu bieten.
Doch im Sommer 2015, als die Isländer auf halbem Weg zu ihrer ersten Qualifikation für eine Europameisterschaft waren, warfen auch die Basler Talentspäher rund um Ruedi Zbinden ein Auge auf isländische Fussballspieler. Birkir Bjarnason spielte zu der Zeit in der Serie B bei Delfino Pescara in Süditalien.
Von Island nach Norwegen
Geboren ist Birkir Bjarnason in Akureyri – einer Kleinstadt im Norden Islands, rund viereinhalb Autostunden von Reykjavik entfernt. Zur Winterszeit herrschen in diesen Breitengraden oft Aussentemperaturen von 10 Grad unter Null. Bereits als Fünfjähriger wollte Birkir nur eins: Er wollte Fussball spielen, er wollte Profi werden. Es tönt vielleicht verwegen, aber Birkir trainierte damals bereits fünfmal pro Woche. Mit namhaften Trainern notabene, welche über die UEFA-Lizenz verfügten. Hinzu kamen dann noch die anforderungsreichen Spiele mit den Junioren, beschwerliche Auswärtsreisen und nicht zuletzt auch die Schule, mit der man als Heranwachsender ja ebenfalls fertig werden muss – aber Bjarnason fühlte sich bei all dem gut, sogar sehr gut, wie er betont.
Als er elf Jahre alt war, zog seine ganze Familie nach Norwegen um – auch der Bruder und die Schwester kamen mit. In Stavanger – bei Viking FK – schuf sich der durchschlagskräftige Jüngling mit dem blonden Haupthaar solide fussballerische Grundlagen, die ihm dann später noch helfen sollten. Langsam und beharrlich arbeitete sich der junge Mann nach oben. Er durchlief sämtliche Juniorenstufen und debütierte mit 16 Jahren bereits in der ersten Mannschaft von Viking FK. Sein Bruder fand derweil in der zweiten Liga Norwegens Unterschlupf. Mit der Zeit kam Birkir Bjarnason auch für die Nationalmannschaft in Frage. Lars Lagerbäck (Originalton Birkir: «Er ist der beste Trainer, den ich je gehabt habe») wurde auf ihn aufmerksam.
Skandinavische FCB-Angriffszange: Mohamed Elyounoussi und Birkir Bjarnason.
Was folgte, war ein wahrhaftiges, isländisches Fussballmärchen. Bereits in der Qualifikation zeichneten sich die Männer aus dem hohen Norden aus, unter anderem bei einem Auswärtsspiel vor 47'000 Zuschauern in Amsterdam gegen Holland, welches mit einem sensationellen 1:0 zugunsten von Island endete. An der Endrunde in Frankreich schlossen Bjarnason ¬ Co. Ihre Gruppe auf dem zweiten Rang ab und zogen so in die Achtelfinals ein, dort gewannen sie mit 2:1 gegen England. Ehe in der Runde der letzten Acht gegen Gastgeber Frankreich dann Endstation war. Im Jahre 2020 folgte für die Wikinger die Krönung – mit der erstmaligen Qualifikation für die Weltmeisterschaft. Die Isländer spielten im grundsoliden 4-4-2-System und setzten voll auf Werte wie Ruhe, Ordnung und Arbeitsbereitschaft. Die teaminterne Stimmung war blendend, Birkir war mittendrin. Diesmal scheiterten die Isländer aber bereits in der Gruppenphase – unter anderem am späteren Finalisten Kroatien.
«Thor», «Blondie» – und der FCB
Am 6. Juli 2015 wechselte Birkir Bjarnason zum Champions League-Teilnehmer FC Basel. Schon vorher war er in Europa auf dem europäischen Festland bei Clubs engagiert. Zuerst bei Bodö Glimt, dem norwegischen Topclub (in Basel bestens bekannt dank Örjan Berg), dann bei Standard Lüttich wie einst Sascha Rytschkow. Später zog es ihn nach Italien – zu Delfino Pescara und zu Sampdoria Genua. Währenddem es ihm in Belgien nicht ganz wohl war, passte es bei den Italienern dann schon viel besser. Die Fans nannten ihn damals «Thor» oder «Blondie», und in Pescara fand er im Team rasch den Anschluss. Da dann Delfino Pescara den Aufstieg verpasste, wollte Birkir sich neu orientieren.
Bjarnason ist der isländische Rekordnationalspieler. Er war bei den meisten grossen Spielen seines Landes aktiv mit dabei.
In diesem Moment kam Basel wie gerufen. Nach dem ersten persönlichen Kontakt mit den FCB-Clubexponenten Bernhard Heusler und Gegge Heitz war alles klar. Birkir lief fortan in rotblau ein, und dies obwohl sich zur gleichen Zeit auch Torino, Atalanta Bergamo und Palermo für ihn interessierten. Die sportlichen Perspektiven in Basel waren einfach besser.
Schöne Zeiten in Basel
Bald schon schoss Birkir die ersten wichtigen Treffer für die Bebbi. Die Basellandschaftliche Zeitung titelte nach kurzer Zeit: «Birkir Bjarnason ist nach wenigen Wochen bereits Publikumsliebling beim FCB». Das FCB-Team damals war mit klingenden Namen besetzt: Tomas Vaclik, Marek Suchy, Philipp Degen, Adama Traoré, Luca Zuffi, Matías Delgado, Shkelzen Gashi, Breel Embolo. In der Europa League stiess Rotblau bis in die Achtelfinals vor, wo man am späteren Gewinner des Turniers, FC Sevilla, scheiterte.
Hier bejubelt Bjarnason das 1000. Super-League-Tor des FCB, das er erzielte und damit Basler Fussballgeschichte schrieb: Birkir Bjarnason.
Rund einen Monat danach köpfelte Birkir Bjarnason gegen den Torhüter Yanick Brecher vom Erzrivalen FC Zürich nach Massflanke von Matias Emilio Delgado zum 2:2-Ausgleich ein. Es war der 1000. Treffer der Rotblauen in der Super League. Wenige Wochen später war Birkir Bjarnason erstmals Schweizer Meister. Auf dem Barfüsserplatz stieg damals eins der Feste, die man nie mehr vergisst. Im Papa Joe’s versammelten sich Spieler und Zugewandte, marschierten auf den Balkon und sangen mit den Schlachtenbummlern um die Wette. Im Sommer 2016 wurde Birkir Bjarnason mit Clubs wie Napoli, Roma sowie Borussia Mönchengladbach und Hertha BSC in Verbindung gebracht.
Ein Jahr später durfte er gar zweimal auf dem Barfi erscheinen und mit seinen Rotblauen das Bad in der Menge geniessen. Der FCB gewann damals das Double – er war notabene der erste Club, der den FC Sion in einem Cupfinal schlagen konnte. «Bleibst du bei Basel», fragte ihn der Berichterstatter damals während der Feier beim Bier. «Ich weiss nicht», «Ich hoffe es», antwortete der Isländer und schmunzelte. Wenig später klopfte ein Club aus dem englischen Mutterland des Fussballs bei ihm an. Wir wissen es, im Fussball kann es manchmal schnell gehen.
Erfahrungen auf der Insel
Beim FC Basel hatte Birkir Bjarnason immer wieder ins Netz getroffen. Fussballerische Qualitäten wie seine Physis, seine Laufbereitschaft, seine Technik, seine Intuition im Sechzehner und sein jederzeit sicheres Positionsspiel erlaubten es ihm immer wieder die gegnerischen Abwehrreihen zu perforieren und Angriffe erfolgreich abzuschliessen. In Basel erlebte er eine wunderbare Zeit, die er mit drei Titeln krönen konnte. Aber als sich dann mit Aston Villa tatsächlich einer der Traditionsclubs sich bei ihm meldete, kam Birkir ins Grübeln. England war für ihn immer schon ein grosser Traum – und das finanzielle Angebot stimmte perfekt.
Birkir schwankte zwei, drei Tage hin und her. Sollte er in Basel bleiben, sollte er in die zweithöchste Liga von England wechseln? So lautete für ihn die Kardinalfrage. Er wusste es nicht und zermarterte sich den Kopf. Schliesslich liess er sich vom unermüdlichen Werben der Fussballdirigenten aus Birmingham überzeugen und setzte seine Unterschrift unter das neue Arbeitspapier, wohl wissend, dass sein neuer Club in der zweithöchsten Liga operierte und deshalb wohl kaum mehr für magische Nächte in der Champions League in Frage kommen wird. Sechs Goals erzielte der quicklebendige Bjarnason auf der Insel. Gegen Wigan Athletic (Cup), Bristol City, Wolverhampton, FC Reading, Wigan Athletic und nochmals Bristol City. Aber in der Summe war es etwas wenig. Von diesem Abstecher hatte er sich sportlich sicher mehr erhofft.
In Brescia ist Birkir zuhause
Über verschlungene Wege und verschiedene Clubs in nah und fern fand Birkir Bjarnason schliesslich bei Brescia Calcio eine neue Heimat. «Hier gefällt es mir gut», betont er beim von Brescia-Manager Edoardo Piovani vermittelten Interviewtermin im Hauptsitz von Brescia Calcio an der Via Solferino. Aufgrund seiner jahrelangen Präsenz in Italien spricht Birkir unterdessen hervorragend italienisch und versteht auch den örtlichen Dialekt. Er ist Familienvater geworden, wohnt im Westen von Brescia, spielt in seiner Freizeit Golf mit Teamkollege Andrea Cistana und kennt die wunderbare Stadt vom Castello di Brescia über Santa Lucia bis hin zu San Faustino mittlerweile aus dem Effeff.
Eine aktuelle Aufnahme von Birkir Bjarnason am Hauptsitz von Brescia Calcio.
Dass seine Teamkollegen jünger sind als er, ist kein Problem für ihn. Gut essen ist für den durchtrainierten Offensivmann ebenfalls ein Thema. Sein persönliches Lieblingslokal in Brescia heisst Nuovo Nando. In den vergangenen Spielen kam er mit den Rondinelle (Schwälbchen), wie die Bresciani von ihrem Anhang liebevoll genannt werden, wieder oft zum Einsatz. Zuhause im Stadio Mario Rigamonti gegen Serie A-Absteiger Sassuolo, auswärts gegen das berühmte Team von Sampdoria Genoa, zuhause gegen Cosenza und auswärts gegen Catanzaro gelangen ihm insgesamt vier Treffer. Das Goal in Genua wurde mit drei Punkten belohnt – er konnte damit seinen Gnari (Gnari bedeutet soviel wie Ragazzi), den Teamkollegen von Brescia Calcio, einen zünftigen Schritt weiterhelfen. Auch in den Testspielen gegen die AC Bellinzona und gegen die US Darfo Boario schoss er je ein Tor – dies zeigt, dass er mit seinen 36 Jahren nach wie vor voller Grinta steckt und dass man weiterhin fest auf ihn zählen kann.
Name: Bjarnason
Vorname: Birkir
Spitznamen: «Thor», «Blondie»
Geburtsdatum: 27. Mai 1988
Nationalität: Isländer
Position: Mittelfeld
Vereine:
Viking Fotballklubb: 2005-2011
FK Bodö/Glimt (Leihe): 2008
Royal Standard Club de Liège: 2012-2013
Delfino Pescara 1936 (Leihe): 2013
UC Sampdoria: 2013-2014
Delfino Pescara 1936: 2014-2015
FC Basel 1893: 2015-2017
Aston Villa FC: 2017-2019
Al-Arabi SC: 2019-2020
Brescia Calcio: 2020-2021
Adana Demirspor Kulübü: 2021-2022
Viking Fotballklubb: 2023
Brescia Calcio: Seit 2023
64 Spiele 17 Tore für den FCB.
Erfolge:
Schweizer Meister mit dem FCB 2016 und 2017
Schweizer Cupsieger mit dem FCB 2017
112 Länderspiele (Rekord), 15 Tore für Island
46 Länderspiele für U-Teams von Island
Birkir Bjarnasons Leistungsdaten beim FCB: Hier klicken
Bisher porträtierte Spieler
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Fotos: Sacha Grossenbacher, Uwe Zinke und ZvG